Lüttich (B) | Sankt Jakobus der Kleine

Die Hauptorgel der Abteikirche wurde 1600 von einem bisher unbekannten Orgelbauer errichtet. Mehrere Personen kommen laut Orgelforschung in Frage: Florent Hocquet, Nicolas Niehoff oder Bernard Spiering.

 

Über das Ursprungsinstrument ist nichts bekannt. 1669 baut André Séverin aus Maastricht die Orgel erstmals völlig um. Er war dermassen hoch geschätzt, dass er das Privileg erhielt unter seiner Orgel begraben zu werden. Der Grabstein ist jetzt in der Westwand des Narthex eingelassen und zeigt ein bemerkenswertes Epitaph: "André Séverin in seiner Kunst unvergleichlich hat uns diese Orgel gemacht, eines dieser Wunderwerke. In Maastricht erhielt er sein Leben und er starb voller Gnade hier in dieser Abtei. Dank seines glüclkichen Schicksals ruht sein Leib hier unten, seine Seele strahlt im Himmel und sein Werk dazwischen." Über sein Instrument ist jedoch nichts bekannt.

 

Die Abteikirche entging nur knapp der Zerstörung nach der Revolution und wurde 1803 zur Pfarrkirche Sankt-Jakob.

 

Die Orgel wurde von Arnold Graindorge 1816 und 1829 repariert. Ein Restaurierungsprojekt von Graindorge aus dem Jahr 1834 und ein anderes von Joseph Merklin aus 1848 wurden nicht ausgeführt. Arnold Clerinx aus Sint-Truiden baute schliesslich 1854 eine neue dreimanualige Orgel in dem alten Gehäuse. Damals wurden auch die Flügeltüren entfernt. Ein kleiner Umbau erfolgte 1888 durch Charles Anneessens. Im 20ten Jahrhundert wurden von verschiedenen Sachverständigen Projekte ausgearbeitet, die allesamt nicht ausgeführt wurden. Zu Beginn der 1990ger Jahre beauftragte die Kirchengemeinde dann Professor Hubert Schoonbroodt mit der Wiederaufnahme des Projektes. Nach seinem Tod im Jahr 1992 übernahmen der Titularorganist Pierre Thimus und der technische Berater Koos van de Linde dann die Aufgabe die Rekonstruktion einer Renaissance-Orgel, mit der die Firma Orgelbau Schumacher beauftragt worden war, zu begleiten.

 

Als Ausgangspunkt wurde die Ästhetik der Niehoff-Schule gewählt, so wie sie in der Oude Kerk in Amsterdam (Sweelinck Orgel) realisiert wurde. Das Klangkonzept dieses Instrumententypus beruht auf ausgeprägten Kontrasten. Eine Gruppe bilden die etwas streichenden Prinzipale, die durch ihre Verdoppelung der Chöre eien ausgeprägten kantablen Charakter aufweisen. Die Plenum-Mischungen sind leuchtend und kräftig, ohne jede Agressivität, und trotzdem transparent. Die Stärke verdeckt nie den vokalen Klarheit. Die zweite Gruppe sind die weiten, volltönenden Flöten, die teils die Holzblasinstrumente der Renaissance imitieren. Die Quintadeen wiedrum besticht durch mehr Schärfe. Ähnlich kontrastreich sind auch die Zungenstimmen: einerseits die kraftvollen Trompete, Zink und Schalmey und andererseits die schlankeren Regale. Die ersteren sind den Bläserensembles der Renaissance nachempfunden, die von Posaunen und Zink gebildet wurden, während die zweiten den Klang der Rohrblattinstrumente nachahmen.

 

Das aussergewöhnlich prächtige Gehäuse war der Ausgangspunkt für den Neubau der Orgel. Schon zu Beginn der Überlegungen war klar, dass die ursprünglichen inneren Abmessungen respektiert werden sollten und das der Stil des Instrumentes eine Einheit mit dem Gehäuse bilden sollte. Das vollständige Fehlen von Archivdokumenten oder Spuren im Gehäuse machet eine getreue Rekonstruktion unmöglich und verpflichtete zu einer Neuschöpfung, einer Stilkopie die dem Erbauer einige Freiheiten lässt im Vergleich zum originalen Konzept. Es wäre unverantwortlich gewesen gewisse "Einschränkungen" als zwingend zu erachten. Deshalb haben Hauptwerk und Oberwerk nun eine kurze Oktave und gehen im Diskant bis d''' statt des ursprünglich wahrscheinlichen Tonumfangs von F - a''. Die Pedaltasten sind jedoch bewusst ganz kurz gehalten, weil dies die Spieltechnik beeinflusst, was wiedrum ausschlaggebend ist für die getreue Interpretation der damaligen Literatur.

 

Die Grösse es Gehäuses erlaubte auch die Erweiterung der Klangpalette: das Pedal umfasst mehr Register als bei Niehoff, was die Aufführung der norddeutschen barocken Orgelwerke erleichtert; in diesem Sinne wurde dem Hauptwerk Gedeckt 8' und Vox humana und dem Oberwerk Terzfloit beigefügt. Die grosse Mixtur des Hauptwerks wurde teilweise aufgesplittet durch die Herausnahme des 4', der Quinte und des 2', die als Einzelregister disponiert wurden.

 

Die Mensuren der Labialstimmen basieren auf den noch erhaltenen Registern oder Registerfragmenten der Familie Niehoff, des Cornelis Gerritz, des Peter de Swart und des Jan Van Covelens. Für die Zungenstimmen dienten die Instrumente von Albert Kiespenning in Wijk, von Appingedam und von Medenblik als Vorbild. Das gesamte Innenpfeifenwerk ist aus gehämmertem, nach oben ausgedünntem Blei hergestellt. Die metrische Analyse des Gehäuses ergab das alles nach dem Goldenen Schnitt konzipiert ist und der Verlauf der Frontpfeifen ist nach denselben Grundsätzen entwickelt worden.

 

Die Windanlage besteht aus 4 grossen Keilbälgen von 9' x 5' mit einer einwärtsgehenden Falte.

 

Für den Orgelbauer bedeutete die Rekonstruktion dieser Orgel eher eine Neuschöpfung als eine Rekonstruktion. Seine Aufgabe war es die vielfältig verstreuten fragmentarischen Kenntnisse in ein musikalisch stimmiges und überzeugendes Ensemble zu giessen. Das Resultat hat uns alle überrascht und alle Erwartungen übertroffen.

 

Disposition

Rückpositiv

F, G, A-d'''

 

Praestant 8'

Quintdehna 8'

Oktava 4'

Kleine Holpipe 4'

Siflöit 1 ½'

Mixtur III-V

Scharp II-V

Regal 8'

Schallmey 4'

 

Manualcoppel Ober Werck / Rückpositiv

Vogelgesang

Trommel

 

Werck

C, D, E, F, G, A-d'''

 

Praestant 16'

Oktava 8'

Oktava 4'

Quinta 3'

Superoctava 2'

Mixtur III-VI

Scharp IV-XII

Gedact 8'

Vox Humana 8'

 

Tremulant

Werck / Ober Werck

 

Ober Werck

C, D, E, F, G, A-d'''

 

Praestant 16'

Holpipe 8'

Oktava 4'

Flöite 4'

Nasat 3'

Gembshorn 2'

Terzflöit 1 ⅗'

Siflöit 1'

Zimbel III

Trommete 8'

Zincke 8 ab a°

 

Tremulant

Werck / Ober Werck

 

Pedal

C, D-d'

 

Praestant 16'

Untersatz 16'

Oktava 8'

Nachthorn 2'

Buerflöite 1'

Trommete 8'

 

Coppel Werck

 

Ort
Liège (B)
Baujahr
1998
Erbauer
Guido Schumacher
Disposition
III – P, 35